“Ein dritter Weltkrieg ist tatsächlich näher gerückt” (trans in ENG via DeepL)
Otmar Lahodynsky, langjähriger Außen- und Europapolitik-Journalist und Doyen der Branche, hat seinen eigenen, persönlichen Blick auf die Krisen, in denen wir uns befinden. “Werte mit Zukunft” hat mit ihm über die schweren, aktuellen Zeiten gesprochen.
Interview: Klaus Puchleitner
Werte mit Zukunft: Wie klingt es für Sie als langjähriger Außenpolitik- und Europa-Experte, der mit vielen Staatsmännern Kontakt hatte, wenn Sie jetzt vom Ukraine-Krieg und dem Vorgehen Putins lesen, den Appellen Selenskyjs und den oft ohnmächtigen Bemühungen westlicher Politiker von Biden bis zu Nehammer?
Lahodynsky: Ich fühle eine Mischung aus Ohnmacht und Wut. Noch vor wenigen Monaten hat kaum jemand in Europa so einen Krieg für möglich gehalten. Viele dachten, Putin wolle damit nur einen möglichen Nato-Beitritt der Ukraine verhindern. Nur US-Präsident Joe Biden hat mehrmals vor einer Militäraktion Putins gegen die Ukraine gewarnt. Aber mit seiner Beteuerung, die USA würden sich keinesfalls mit Truppen einmischen, weil ja sonst ein Dritter Weltkrieg drohe, hat er Putin geradezu ermutigt, loszuschlagen. Der ehemalige KGB-Agent hat sein Narrativ, dass es gar keine Ukrainer gebe und in der Ukraine ein Genozid an Russen stattfinde, beständig und mit Berufung auf nationalistische russische Großmachtfantasien aufgebaut. Er nannte ja das Ende der Sowjetunion „eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts“. An ihre Stelle soll jetzt sein diktatorisches Modell treten. Sogar Stalin wird plötzlich wieder als Held gefeiert. Putin hat das Institut zur Erforschung von Stalins Verbrechen, Memorial, aufgelöst und einen Polizei- und Überwachungsstaat aufgebaut. Es ist schlimmer, als Orwell in seinem Roman 1984 ein totalitäres System beschrieben hat. Sicher hat auch der Westen Fehler gemacht. Man hätte Russland mehr in politische, wirtschaftliche und militärische Strukturen einbinden sollen. Boris Jelzin hat ja sogar einen späteren Nato-Beitritt für möglich gehalten. Aber Putin verfolgt schon seit Jahren sein großrussisches Modell, das er anderen Staaten mit Gewalt aufzwingt.
Ist die Welt in den vergangenen drei Jahren – Stichwort Corona-Krise und Ukraine-Krieg – auch für einen erfahrenen internationalen Medienmann wie Sie komplizierter geworden?
Die Welt ist insgesamt komplizierter geworden. Francis Fukuyama’s 1992 geäußerte Parole von einem Ende der Geschichte und der dauerhaften Etablierung der westlichen „liberalen Demokratie als finale Form des humanen Regierens“ wirkt 30 Jahre später fast lächerlich. In Wahrheit folgt nur mehr ein Fünftel der UN-Mitgliedsstaaten den westlichen Grundwerten von Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Medienfreiheit und einer freien Zivilgesellschaft. Immer mehr Länder werden autoritär regiert. Russland und China streben die weltweite Dominanz an. Putin und Xi Jinping haben das bei der Eröffnung der olympischen Spiele in Beijing in einem gemeinsamen Kommuniqué klar zum Ausdruck gebracht.
Und gefährlicher? Anders gefragt: Sie haben als Berichterstatter den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 live miterlebt. Sind wir heute näher an einem Dritten Weltkrieg als damals?
Ja. Ein Dritter Weltkrieg, der vor zehn Jahren noch undenkbar war, ist tatsächlich näher gerückt. Einen Tag vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat mir Erhard Busek unter Tränen gesagt, dass er das Gefühl habe, dass wir auf einen neuen Weltkrieg zusteuern. „Mein lebenslanger Kampf für ein friedliches, ungeteiltes Europa scheint umsonst gewesen zu sein“, sagte er bitter. Und er war böse auf die vielen Putin-Versteher in Österreich. Vor allem auf Wolfgang Schüssel, der seinen gut bezahlten Job bei Lukoil lange nicht aufgeben wollte.
Wenn Sie die heutigen Staatsmänner und die von früher in Bezug auf ihre Fähigkeiten der Krisenbewältigung vergleichen, wer schneidet da besser ab, und warum?
Die Machthaber von heute wirken im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern intellektuell unterlegen. Schauen Sie nur einen Polit-Clown wie Boris Johnson an, der übrigens in den frühen 90er-Jahren mein Kollege als Brüssel-Korrespondent war. Oder Emmanuel Macron im Vergleich zu Francois Mitterrand. Olaf Scholz hätte vor über 30 Jahren bei der deutschen Wiedervereinigung zu lange gezögert und die Chance wohl versemmelt. Oder nehmen Sie Putin im Vergleich zu Gorbatschow. In den USA waren freilich Ronald Reagan oder George W. Bush auch keine Geistesgrößen, aber allemal handlungsstärker und entscheidungsfreudiger.
Hat sich die UNO als Institution zur Krisenprävention und -beilegung angesichts des Krieges in der Ukraine als obsolet erwiesen? Gehört sie reformiert?
Die UNO wirkt derzeit überfordert und ohnmächtig. Aber daran sind in erster Linie die ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder schuld, vor allem Russland mit seiner Vetokeule. Generalsekretär Antonio Guterres ist leider zu schwach. Er ist viel zu spät zu seiner Friedensmission nach Moskau und Kiew aufgebrochen. Und dann feuern die Russen Raketen auf Kiew ab, während Guterres noch dort weilt. Ein Signal, wie wenig sich die russische Führung um die UNO schert. Echte Reformen der UNO, die sicherlich notwendig sind, werden wohl hauptsächlich an Putin scheitern.
Wie erleben Sie den Umgang der Gesellschaft in den verschiedenen EU-Staaten, auch in Österreich, mit den neuen Krisen?
Die EU hat erstaunlich schnell und einig auf die russische Invasion in der Ukraine reagiert, mit den bislang schärfsten Sanktionen. Schlimm finde ich das Verhalten von Ungarns Premierminister Viktor Orbán, der nicht nur den Transit von Waffen in die Ukraine untersagt, sondern auch sonst die von ihm mitbeschlossenen Sanktionen gegen Russland hintertreibt. Er hat damit wohl auch die Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) umgebracht.
Was glauben Sie als jemand, der schon viele internationale Krisenszenarien erlebt hat, macht diese Konstellation – zuerst Corona, jetzt Krieg – mit einer bisher sehr behütet lebenden Gesellschaft wie der österreichischen?
Die Hilfsbereitschaft ist hoch. Und viele können sich ja noch an den Jugoslawienkrieg 1991 bis 1995 erinnern. In Österreich agiert die seltsame Allianz von Putin-Verstehern – Heinz Fischer, Wolfgang Schüssel, Christian Kern, Alfred Gusenbauer, Christoph Leitl, sowie die FPÖ mit Karin Kneissl und Herbert Kickl inzwischen sehr kleinlaut. Österreichs Politiker haben sich viel zu lange Putin angebiedert. Es ist unverantwortlich, sich bei Gaslieferungen so sehr an Russland gebunden zu haben.
Können wir dieses Narrativ der “Insel der Seligen” noch aufrecht erhalten? Das Covid-Virus hat sich um unsere Grenzen ja wenig gekümmert, und der Krieg in der Ukraine betrifft uns nicht zuletzt über Preissteigerungen auch fast unmittelbar …
Die Papstparole von der „Insel der Seligen“ trifft ja schon lange nicht mehr zu. Wir sind EU-Mitglied und nehmen jetzt auch an den Sanktionen gegen Russland teil. Die Hilfsbereitschaft ist hoch. Die Pandemie hat unsere Gesellschaft weit mehr gespalten als jetzt der Krieg, den ein überwiegender Teil der Österreicher verurteilt. Die Folgen – Inflation und höhere Preise, vor allem für Energie- sind für uns schmerzhafter als die Lockdowns.
Hat sich die Neutralität Österreichs überlebt?
Wenn Schweden und Finnland der Nato beitreten, sind wir in der EU auf dem Kontinent der einzige neutrale Staat. Schon jetzt nehmen wir an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU teil, sogar bei den Ausgaben für den Waffenkauf für die Ukraine. Die Neutralität ist ein Mythos – auch Putin hat die Mission von Bundeskanzler Karl Nehammer nicht wirklich unterstützt. Da spielt inzwischen sogar der Nato-Staat Türkei eine wichtigere Rolle als Vermittler.
Was würden Sie dem typischen Österreicher raten, der jetzt zu Hause sitzt, eine Covid-Infektion hinter sich hat, in den Medien von Panzern und einer realen atomaren Bedrohung liest und hört und sich Sorgen macht, dass der Dritte Weltkrieg über ihn hereinbrechen könnte?
Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Die atomaren Drohungen aus dem Kreml machen Angst, aber das ist von den Kriegstreibern in Moskau beabsichtigt. Also da ist viel Bluff dabei. Und inzwischen sieht man ja auch, dass die riesige Armee Russlands nach mehr als zwei Monaten kein einziges Kriegsziel erreicht hat, außer gewaltige Zerstörungen anzurichten und Zivilisten zu töten.
Wie zufrieden sind Sie mit der Rolle der Medien in diesen beiden Krisen – war die Berichterstattung in Ordnung? Stichwort Fake News, Verschwörungstheorien und Cyber Warfare …
In der Pandemie haben Qualitätsmedien gute Arbeit geleistet. Aber leider wurden – mit Unterstützung der FPÖ und ihrem Oberschwurbler Herbert Kickl – von den Corona-Leugnern auch viele Verschwörungstheorien und Fake News verbreitet. Jetzt im Ukraine-Krieg berichten die meisten Medien korrekt. Und viele Reporter beweisen auch viel Mut, wenn sie sich ins Kriegsgebiet wagen. Wir müssen uns mehr mit den Methoden des Cyberkriegs beschäftigen, also wie man die Desinformation von Putins Trollen besser entlarven kann. Meine Medienorganisation, die AEJ, hat sich für ein Verbot der Propagandasender RT und Sputnik in der EU eingesetzt. Kriegspropaganda darf nicht frei verbreitet werden. Generell sollten die investigativen Teams verstärkt werden. Es gibt in unserem Land noch viel aufzudecken. Manchmal hätte ich mir in der Pandemie von den Medien mehr Distanz zur Regierung gewünscht, die anfangs fast täglich und martialisch im Tarnanzug zu dritt oder viert im Fernsehen auftrat. Da gab es manchmal inhaltsleere Pressekonferenzen, da hätten die Journalisten einfach geschlossen den Saal verlassen sollen.
Und die politische Kommunikation ganz generell, wie ist die in den vergangenen beiden Jahren in Österreich aus Ihrer Sicht gelaufen?
Da ist ein Ungleichgewicht zu beklagen: Politiker haben oft ein Team von Pressesprechern und Social-Media-Experten zur Verfügung. In den Redaktionen wurde dagegen personell eingespart. In manchen Tageszeitungen dürfen Journalistinnen und Journalisten in der Arbeitszeit Informationsveranstaltungen, die nicht unmittelbar der Berichterstattung dienen, nicht mehr besuchen, auch wenn sie zur Weiterbildung beitragen. Das ist eine traurige Entwicklung. Und es gibt für meine Begriffe immer noch zuviel Verhaberung zwischen Politikern und Journalisten. Das führt dann zur Schere im Kopf und zur Selbstzensur. Da werden dann auch unbequeme Fragen nicht mehr gestellt.
Hervorgehobenes Zitat 1:
“Einen Tag vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat mir Erhard Busek unter Tränen gesagt, dass er das Gefühl habe, dass wir auf einen neuen Weltkrieg zusteuern.”
Hervorgehobenes Zitat 2:
“Ronald Reagan oder George W. Bush waren auch keine Geistesgrößen, aber allemal handlungsstärker und entscheidungsfreudiger.”
Hervorgehobenes Zitat 3:
“Manchmal gab es in der Pandmie inhaltleere Pressekonferenzen, da hätten die Journalisten einfach geschlossen den Saal verlassen sollen.”
Hervorgehobenes Zitat 4:
“Für meine Begriffe gibt es immer noch zuviel Verhaberung zwischen Journalisten und Politikern, das führt dann zur Selbstzensur.”
Kasten mit Bio irgendwo zu Aufmacherbild:
Otmar Lahodynsky
1954 in Linz geboren. Bis Ende 2019 Redakteur und EU-Koordinator beim Nachrichtenmagazin „profil“. Davor Brüssel-Korrespondent und stv. Chefredakteur der Zeitung „Die Presse“ und Außenpolitik-Ressortchef beim „Kurier“. Internationaler Präsident der „Association of European Journalists“ (AEJ) 2014-2021, jetzt Ehrenpräsident. Gastkommentare und Beiträge für „Die Presse“, „Wiener Zeitung“, „Furche“, „Cercle Diplomatique“, „New Europe“ (Brüssel). 2019 Dr-Karl-Renner-Publizistikpreis fürs Lebenswerk
Bücher: Mit Wolfgang Böhm: „EU for You!“- So funktioniert die Europäische Union. G&G-Verlag. Als Schulbuch auch in sieben fremdsprachigen Ausgaben erscheinen.
„Globalisierung“-So funktioniert die weltweite Vernetzung. Veritas-Verlag.
„Der Proporzpakt- Die Rückkehr der Großen Koalition“, Ueberreuter
100 Jahre Burgenland- Geschichte einer internationalen Grenzregion, Neue Welt Verlag (Mit-Autor)